Ein kurzer Auszug aus dem im Oktober 2019 erscheinenden Buch Theatermusik. Analysen und Gespräche (Roesner, Theater der Zeit 2019):
DR: Wie hast du dir das, was du heute brauchst, angeeignet? Du spielst Klavier, Gitarre, Saxofon, hast Chorerfahrung …
Thomas Seher: … und singe auch, genau. Das ist, glaube ich, eine gute Mischung. In diesem Job kommt man ja nicht mehr weit, wenn man nur ein Instrument spielt. Ich glaube, es braucht diese Mischung aus Handwerk – dass man komponieren kann, ein leadsheet schreiben oder etwas orchestrieren kann – eine gewisse Freiheit in den Stilen, dass man mal was Klassisches, was Schräges, aber auch etwas Konventionelles komponieren kann, mal Reggae, mal etwas Fünfstimmiges, weil man gerade fünf Schauspieler*innen hat, oder einen Song mitsamt Liedtext. Und man braucht eine Technikaffinität: Computer, Software, Ableton Live, Logic – diese ganzen Sachen, die man in keinem Kurs lernen kann. Ich hänge Stunden vor dem Rechner und schaue mir Tutorials von irgendwelchen neuen Plug-ins an.
DR: Das heißt, es gibt eine erste, sehr freie Phase mit viel Improvisation, wo du jetzt nicht primär konzeptionell herangehst? Ein intuitives Reagieren auf ein Stück?
TS: Absolut. Die Phase unterschätzt man immer, aber die ist für mich als Musiker mega-wichtig, weil ich da alles ausprobieren kann und diesen Schutzraum habe. Ich darf auch alles. Bei der zweiten Probe ist das schon nicht mehr so, habe ich festgestellt. Auch bei Marco Štorman: Bei der ersten Probe kann man sich selbst noch überraschen, aber auch das Team. Es geht darum, die Schauspiel-Improvisation musikalisch mitzugestalten, indem man musikalische Räume behauptet, Stimmungen lenkt, Zäsuren setzt oder einfach mal zu laut ist. Viele Schauspieler*innen haben Angst vor dem ersten Tag der Improvisation – merken aber, dass meine Musik wie ein Partner auf der Bühne funktionieren kann. Da kann man als Schauspieler*in erst einmal schauen und eine musikalische Erfahrung machen und muss nicht sofort etwas darstellen. Die Musik ist da ein ganz aktiver Teil der Szenerie.
DR: Wie verhalten sich Improvisation und dein vorbereitetes Material zueinander?
TS: Wir haben häufig nach den ersten Gesprächen am Tisch eine frühe Probenphase, in der alle gemeinsam improvisieren, und da bringe ich meine Tracks mit ein, aber auch Tracks von anderen Komponisten. Wenn ich z. B. merke, da braucht es jetzt einen Drum ‘n’ Bass Track, den ich aber nicht selbst vorbereitet habe, dann nehme ich einen fertigen, weiß aber, dass ich den am Ende ersetzen werde. […]
Das Improvisieren sieht bei mir so aus, dass ich unter Kopfhörern arbeite, während der/die Regisseur*in neben mir Gespräche mit den Schauspieler*innen führt. Das scheint wichtig zu sein, dass ich das eben nicht zu Hause mache, sondern dass die Musik an dem Ort, wo es passiert, entsteht. Ich nehme bestimmte Stimmungen und Irritationen auf und komme stilistisch irgendwie auf eine Spur, die mir hilft und die mich auch in das Stück einbettet. Das Gespräch beeinflusst mich dabei natürlich, auch inhaltlich.